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A.MAZE 2013: Das Gerede

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John Milton Scratched His Genitals, and Other Stories

A.MAZE 2013: Das Gerede

speechbubbleVersponnene Fachsimpelei über die Zukunft, geschäftige Versuche, Entwickler an Bord zu ziehen für eine neu entwickelte Konsole oder bierschwerer Smalltalk über die am Pissior angebrachten Lemmings-Stencils: Gespräche stehen zweifelsohne im Mittelpunkt des A.MAZE-Festivals. Im Sinne des rotzigen Charmes von Veranstaltung wie Location bräuchte es vermutlich auch keinerlei fester Programmpunkte. Pflichtgemäss gibt es sie trotzdem, und auch sie bestehen mehrheitlich aus Gerede, oder genauer gesagt: Reden. Über Geheimnisse, Spaziergänge, Humor und warum die Indie-Szene Gefahr läuft, in Inzest draufzugehen.

Von Christof Zurschmitten.

Mit zwanzig Minuten Dauer taugen die Referate zum Sprunghaften, Vorläufigen, Von-Herzen-Kommenden allerdings weit mehr als zur Weitergabe von profunden Erfahrungen und Weltweisheit — Jam-Mentalität rules, auch wenn alle aufmerksam in Reih und Glied vor der Powerpoint-Präsentation sitzen mögen. Insofern erstaunt es nicht, dass die Vorträge die gesamte Bandbreite menschlicher Bühnenexistenz abdeckten, von rausgehauenen Gedanken über die Entwickler-Existenz über unbeholfenes Gefasel bis hin zur souveränen Verdichtung von Gedanken, die deutlich über das A.MAZE hinaus Kreise ziehen dürften.

Spaziergänge, Geheimnisse und Chaos

Wie sehr die Indie-Szene in der Sonne angekommen scheint, wurde bereits klar in der Eröffnungs-Speech von Nicklas „Nyfflas“ Nygren (Knytt Underground).  Der fatalen Grundstimmung der letztjährigen Kickoff-Rede von Jonatan “Cactus” Söderstörm setzte sie eine geradezu romantische Verträumtheit entgegen. Nygren griff etwas auf, das in diesem Jahr viele Gemüter zu beschäftigen scheint: Den Verlust des Geheimnisvollen im Computerspiel, und die Frage, wie es zurückgewonnen werden kann. (Dieselbe Sehnsucht nach dem Mysterium ist etwa auch der Grundton aller jüngst auf Starseed Pilgrim angestimmten Lobeshymnen und stand auch im Zentrum des unlängst hier veröffentlichen Year Walk-Briefwechels.) Nygrens Gedanken flanierten herum zwischen Waldspaziergängen, frühen Super Mario-Spielen und Anekdoten aus der Entwicklerpraxis, ohne jedoch auf weitere Kontexte oder Ursachen (wie das naheliegende Internet als Ober-Spielverderber) zu sprechen zu kommen. Dafür bot er drei handfeste Rezepte, um das Mysterium wieder zu seinem Recht kommen zu lassen: Der Verzicht auf Achievements, Fortschrittsbalken und andere petzende Meta-Elemente im Spiel scheint naheliegend genug. Doch Nygren plädierte auch für das Denken ausserhalb der Grenzen des Spiels: Warum sollen Glitches unbedingt gepatcht werden, die dem Spieler Zugang zu eigentlich verbotenen Bereichen des Spiels ermöglichen? Und warum nicht eigentlich ausgeschiedene Ressourcen wie Test-Levels im Code belassen und den Spielern damit die Möglichkeit belassen, auf einer Meta-Ebene zum Entdecker ungeahnter Dimensionen zu werden?

ed_key

Zufällig lieferte Nygren damit auch die Stichworte für zwei andere Vorträge: Ed Key, der letztes Jahr mit Proteus den ersten A.MAZE-Indieaward gewinnen konnte, bot eine zweite Stimme für den Lobpreis der inspirierenden Wirkung von Naturspaziergängen. Keys Liebeserkärung an die Landschaften seiner Heimat Cambridgeshire kreiste in seltsam vager und offener Weise um ein Zentrum, das Key nicht auf den Punkt bringen konnte. (Der Punkt könnte mit dem Konzept des “Erhabenen” in der ästhetischen Theorie allerdings nicht unpassend beschrieben werden.)

Der Neuseeländer Michael Brough hingegen, der die technischen Widerstände des Digitalen als Werkstoff für seine Spiele benutzt und damit immer mehr zu einer fixen Bezugsgrösse für Indie-Developer zu werden scheint, nahm Nygrens Überlegungen zu Glitches in Spielen auf. Auch Brough plädierte für das Potential des Unfertigen, Unbeabsichtigten, Chaotischen, das zwangsläufig mit der Spiele-Entwicklung, einhergeht, und für die kreativen Säfte, die es in Wallung bringen kann: „Pay attention to your mistakes, you don’t necessarily want to fix them. They can lead to interesting things.“

emergent_humourÜberhaupt zeigte das A.MAZE einmal mehr, dass wohl nichts so sehr den experimentellen Flügel der Game-Entwicklung vom Hochbudget trennt wie die unterschiedliche Einstellung zur Kontrolle. Wo diese im AAA-Sektor manisch und penibel zu bewahren versucht wird, macht der Indie-Sektor das Chaos zur Tugend. Der Südafrikaner Evan Greenwood argumentierte seinerseits für das brachliegende Potential, das im emergenten Humor liegt – also jenem dem Computerspiel vorbehaltenen Typ von Humor, der entsteht aus dem Zusammenspiel komplexer, oft unüberschaubarer Systeme, und der Interaktion des Spielers mit ihnen. (Unter dem Schlagwort „Slapstick-Spiele“ waren ähnliche Gedanken auch auf Titel-Magazin zu lesen.) Ein starker Beleg für Greenwoods These: Sein Spiel BROFORCE, das das altehrwürdige Genre des Action-Plattformers erweitert um eine berechtigte Frage: „Was wäre wenn all die Explosionen auch tatsächlich die Landschaft in Schutt und Asche legen könnten?!“ Verwüstung, Chaos, tausend Tode und Gelächter — das wäre nicht nur, sondern war, und machte BROFORCE trotz Alpha-Status zu einem der beliebtesten der am Festival ausgestellten Spiele.

Epic? Dude!

Eine weitere berechtigte Frage stellte der in Deutschland wohnhafte Indie-Entwickler Jonas Kyratzes: Was wäre wenn wir das Epos bei seiner Wurzel packen würden? Innerhalb der Gameskultur ist der Begriff “epic” bekanntlich zur Standardzuflucht von dudebros geworden, die DRINGEND ihrer Euphorie Ausdruck verschaffen müssen. Damit hat sich der Begriff aber weit entfernt von seiner ursprünglichen Bedeutung, die etwa Miltons Paradise Lost als Epos bezeichnet hätte: Eine Breitbanderzählung die nichts weniger will, als die Welt zu erklären.Wie Kyratzes bemerkt, ist diese Kunstform  beinahe gänzlich verschwunden — nicht nur, aber auch in Indie-Spielen die ganz auf der Linie des allgemeinen Diskurses “künstlerisch” selbstredend gleichsetzen mit kleineren, persönlichen Projekten, von “art games” bis zur sich in den letzten Monaten Bahn brechenden Interactive Fiction-Renaissance. Dabei bemerkt Kyratzes, dass Computerspiele sich für das “Epische” in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes durchaus anbieten würden — der PR-wirksam gern beschworene “epic scope” ist oft genug zumindest in Sachen Länge gegeben. Hinzu kommen müsste nun die Tiefe, die Ambition also, auch grössere, gesellschaftliche, kulturelle, politische etc. Prozesse zur Sprache zu bringen.

Auch wenn Kyratzes’ Analyse (notwendig) verkürzt ausfällt — nicht nur der Boom des “Quality TV” weist ja deutlich auf eine Rückkehr des Epischen hin — bildete sein leidenschaftliches Plädoyer eine willkommene Ergänzung zu Anna Anthropys beissendem Kommentar an der diesjährigen GDC, wonach ein 80-Stunden-Spiel aus einer Stunde Ideen und 79 Stunden Bullshit bestehe. Die Prognose mag stimmen, aber Jonas Kyratzes gibt zurecht zu bedenken, dass der Ausweg nicht lediglich in der rigiden Verdichtung und Kürzung zu suchen sein muss, sondern auch in der Bereicherung und sinnvollen Nutzung  der restlichen 79 Stunden. Zweifelsohne ein schwieriges Unterfangen — immerhin zeigt sich Kyratzes bemüht, mit gutem Beispiel voranzugehen. Sein zusammen mit Verena Kyratzes entwickeltes letztes Spiel The Sea Will Claim Everything etwa bemüht sich redlich, im buntstiftgemalten Gewand nicht nur die Existenznöte lebender Häuser zu thematisieren, sondern auch die fatale Lage Griechenlands in der Finanzkrise.

sami_vlambeerVoll in die allgemeine Befindlichkeit traf dann aber vor allem Rami Isamil von Vlambeer mit seinem Aufruf dazu, Brücken zu verbrennen. Die Verbindungen, die er lodern sehen will, sind die gefährlich bequem gewordenen Bande der Elite unter den Indie-Entwicklern. Zwar waren und sind diese Seilschaften notwendig, um den Indie-Sektor ins Rampenlicht zu hieven, in dem er sich im Moment befindet. Doch Ismail befürchtet, dass dem dicht geknüpften Beziehungsnetz der arrivierten Indie-Elite mehr und mehr Perlen durch die Maschen gehen müssen. Es droht gar eine Spaltung der Indie-Szene in Studios wie Vlambeer, die künftig einen “middle ground” innerhalb der Industrie bilden könnten, und all den von diesem unabhängigen Entwicklern, Künstlern und Renegaden. Aufmerksamkeit statt Inzest. Insofern sollen die Flammen, die Ismail zündeln will, nicht zwingend alle Bande zerstören — aber es soll als Feuer unterm Hintern zur Wachsamkeit und Mobilität zwingen.

Ob mit dem beschworenen Schisma in Indie-Land tatsächlich etwas verloren geht oder ob Ismails Befürchtungen nicht auch das unbequeme Zwicken der Erkenntnis ist, dass man nicht mehr nur Underdog ist, sei dahingestellt. Dass aber Journalisten wie arrivierte Entwickler sich nicht aus der Verantwortung stehlen dürfen, vor der aufregenden/einschüchterenden Flut von neuen Spielen Zuflucht zu suchen beim Altbekannten und bequem in Release-Kalender Geordneten, steht ausser Frage.

Wer die Indie-Revolution ernst nehmen und vorantreiben will, darf nicht davor zurückschrecken, auch gelegentlich in ihrem Bodensatz zu wühlen.


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